"Noch nie waren wir mit dem Konferenzort des Forums Mitteleuropa so nah am Brennpunkt der Weltpolitik", sagte Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler mit Blick auf die mittlerweile 11. Ausgabe des Veranstaltungsformats. In der Tat setzte der Saal des historischen Seimas-Gebäudes, in dem am 11. März 1990 die Erklärung " zur Wiederherstellung des unabhängigen Staates Litauen" verkündet wurde, die Konferenz in einen hervorragenden Rahmen.
Dr. Rößlers Initiative und der Einladung der Vorsitzenden des Seimas, Viktorija Čmilytė-Nielsen, waren 120 Konferenzgäste gefolgt. Das Vormittagsprogramm beschäftigte sich mit der "Lage in den Diktatur- und Kriegsgebieten – Russland, Belarus, Ukraine". Am Nachmittag ging es in einem ganzheitlicheren Ansatz um die "äußere Sicherheit im 21. Jahrhundert" und darum, was Europa tun muss oder kann, um diese zu gewährleisten.
Die stellvertretende Vorsitzende des litauischen Parlaments, Radvilė Morkūnaitė-Mikulėnienė, eröffnete die Konferenz mit einer Begrüßungsansprache. Sie konstatierte, dass die Fragen, denen sich Mitteleuropa heute gegenübersieht, die gleichen seien, die auch schon vor 30 Jahren eine Herausforderung darstellten. Sie dankte Deutschland für seine Unterstützung und sagte, dass Litauen sich auch wegen der nun im Rahmen der NATO zusätzlich hier stationierten deutschen Soldaten sicherer fühle.
Auch Dr. Matthias Rößler erinnerte in seiner sich anschließenden Eröffnungsrede, die krankheitsbedingt als Videobotschaft übertragen wurde, an die Zeit vor über 30 Jahren, als die baltischen Staaten in der Singenden Revolution nach Souveränität strebten. Er betonte, dass auch die Sachsen genau wüssten, was Freiheitskampf und staatliche Wiederbegründung hießen. Dies verbinde sie mit den Litauern, Letten und Esten. Der Angriffskrieg Russlands gegen die freie Ukraine beende die europäische Friedensordnung und konfrontiere nicht nur die EU-Mitgliedstaaten mit einer immensen Bedrohung.
Im nachfolgenden Videostatement des Ersten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Dr. Othmar Karas, beschwor dieser die Wichtigkeit eines fortwährenden Kampfes für die Demokratie. Sein Folgeredner, Prof. Dr. Sergei Ignatov, Rektor der Europäischen Humanistischen Universität, einer belarussischen Bildungseinrichtung im Exil, hob neben diesem unablässigen Ringen die Bedeutung der Bildung neuer osteuropäischer Eliten zu humanitär denkenden und kommunikationsstarken Individuen hervor. Er sagte, die heutigen Ereignisse seien die Konsequenz einer Versklavung der Wissenschaften vor 30 Jahren, als Universitäten soziale Aspekte aus der Lehre ausklammerten.
In der anschließenden ersten Panel-Diskussion sah Dr. Andrius Kubilius, ehemaliger Premierminister von Litauen und Mitglied des Europäischen Parlaments, die bestehende geopolitische Krise als Möglichkeit zum Wandel und als Chance, die Frage zu beantworten, was wir in Zukunft in Europa besser machen könnten. Begangene Fehler müssten analysiert und Lehren gezogen werden mit dem Ziel, eine klare ganzheitliche Strategie für Osteuropa auszuarbeiten.
Dieser Forderung schloss sich der Leiter der EU-Delegation in Belarus, Dirk Schübel, an. Man dürfe aber nicht nur die weitere Entwicklung der Europäischen Union im Blick haben, man müsse auch bedenken, wie es mit der östlichen Partnerschaft weitergehe. Besonders wichtig sei es dabei beispielsweise zwischen dem Land Belarus und dem momentanen Regime in Belarus zu unterscheiden. Belarus sei nämlich ein natürlicher Teil Europas, betonte auch Franak Viačorka, der als Vertreter der belarussischen demokratischen Opposition am Panel teilnahm. Es brauche weiteren Anschub und Energie sowie etwas mehr Mut, um das zu beenden, was man 2020 begonnen habe. Ein Sieg der Ukraine über den russischen Aggressor könne ein Fenster sein, die demokratischen Prozesse in Belarus und anderswo zum Erfolg zu führen. Auch der ehemalige Ministerpräsident Sachsens, Prof. Dr. Georg Milbradt, stärkte abschließend die Hoffnungen auf eine langfristige demokratische Revolution in Belarus und sogar Russland. Man müsse hier jedoch Geduld haben, so der Sondergesandte der Bundesregierung für die ukrainische Reformagenda.
Den Auftakt zum zweiten Programmteil bildete die Ansprache der wohl prominentesten Rednerin des diesjährigen Forums, der belarussischen Oppositionsführerin Sviatlana Tsikhanouskaya. Seit ihrer Kandidatur gegen den Diktator Alexander Lukaschenko im Jahr 2020 lebt sie im litauischen Exil. Tsikhanouskaya sah eine enge Verbindung der Schicksale von Belarus und der Ukraine, denn es könne kein freies Belarus ohne eine freie Ukraine geben. Sie forderte die internationale Gemeinschaft dazu auf, den Druck durch Sanktionen aufrechtzuerhalten, denn diese seien zwar kein Allheilmittel, zeigten jedoch durchaus Wirkung.
Ähnlich argumentierte im Anschluss Dr. Laima Liucija Andrikienė, Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Seimas. Das russische Regime werde Putin überdauern. Europa müsse sich daher gemeinsam und koordiniert durch Sanktionen schützen. Marko Mihkelson, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Parlament von Estland, ergänzte drei Dinge, die Europa nun tun müsse, um der Bedrohung durch Russland Herr zu werden: Es solle in Verteidigung investieren, Entschlossenheit bei der Wahrung seiner Werte zeigen und helfen die durch Russland besetzten Gebiete zu befreien.
In der intensiv geführten zweiten Debatte des Tages herrschte die Frage danach vor, wie Deutschland sich zum Krieg, in der Ukraine positionieren solle, um weiteres Blutvergießen zu verhindern. Der deutsche Botschafter in Litauen, Matthias Sonn, wies auf die problematische Vergangenheit Deutschlands hin und erklärte so das Unwohlsein vieler Deutscher angesichts der Forderung nach einer Führungsrolle. Prof. Dr. Liliana Tymchenko vom Zentrum für Konstitutionalismus und Menschenrechte an der Europäischen Humanistischen Universität schloss auf die Frage hin, wie weitere Gräueltaten zu verhindern seien, mit der Botschaft, dass Krieg im Geist des Menschen beginne, Frieden aber auch. Es müsse eine Veränderung der Gedanken geben, damit Frieden in Osteuropa möglich werde.
Heft 11 der Schriftenreihe FORUM dokumentiert die Konferenz "Deutschland, Mitteleuropa und die östlichen Nachbarn" am 13. Mai 2022 in Vilnius. Das Heft ist in deutscher und englischer Sprache erhältlich. Es kann unter publikation@slt.sachsen.de als Druckversion bestellt werden.