23.05.2023
Das Forum Mitteleuropa beim Sächsischen Landtag tagte am 23. Mai 2023 im Senat des Parlaments der Tschechischen Republik in Prag. Die internationale Konferenz unter dem Titel "Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft in Mitteleuropa" richtete der Sächsische Landtag in Kooperation mit dem tschechischen Senat aus.
Die Konferenz "Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft in Mitteleuropa" 2023 in Prag widmete sich verstärkt den möglichen Folgen der europäischen Zeitenwende in den Bereichen Wirtschaft und Gesellschaft in Mitteleuropa. Damit sollte einerseits die 2022 in Vilnius begonnene Diskussion fortgesetzt sowie andererseits thematisch an die Schwerpunkte der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft (u.a. Ukraine-Krieg, Sanktionen und Energiekrise) angeknüpft werden. Zu den ohnehin zahlreichen Herausforderungen, die von innen wie von außen auf die Europäischen Union einwirken, kamen im Jahr 2022 existenzielle Herausforderungen in den wichtigen Bereichen Energie- und Sicherheitspolitik hinzu.
Zum Beginn der Konferenz des Forums Mitteleuropa verabschiedenden die Präsidenten des Sächsischen Landtags und des Senats der Tschechischen Republik eine Erklärung. Sie zeigten sich einig darin, dass die Stabilität der Gesellschaften in Tschechien und Sachsen nur mit der "kontinuierlichen demokratischen Unterstützung durch unsere Bürgerinnen und Bürger zu erlangen" sei. "Wir müssen uns daher den Herausforderungen für den Lebensstandard und die Würde unserer Völker bewusst sein", heißt es in der Erklärung.
Senatspräsident Dr. Milos Vystrčil machte in seiner Begrüßungsansprache deutlich, dass sich Mitteleuropa in einer Zeit des Umbruchs befinde. Die Transformation und die Aufbauleistung der vergangenen 30 Jahre hätten den mitteleuropäischen Staaten eine starke Identität gegeben. Man habe aber auch Fehler gemacht, beispielsweise in der Frage der Energieabhängigkeit. Vystrčil forderte, daraus jetzt die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die demokratischen Institutionen in Mitteleuropa müssten widerstandsfähiger werden. Auch ökonomische und ökologische Veränderungen sollten konsequent angegangen werden.
Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler betonte, dass Sachsen schon immer zu Mitteleuropa gehört und diesen Kulturraum geprägt habe. Die heutige Stärke beruhe auf dem, was in den vergangenen 30 Jahren geleistet worden sei. Die errungenen Werte von Frieden, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bildeten auch die Leitplanken für den Weg ins 21. Jahrhundert. In diesem Rahmen müssten die jetzigen Herausforderungen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger gestaltet werden. Es gehe unter anderem darum, ökologisch nachhaltig zu wirtschaften und beispielsweise Energie bezahlbar zu halten.
Zunächst nahm die Konferenz am Vormittag die aktuelle ökonomische sowie energiepolitische Lage in den Blick. Wirtschaftliche Sicherheit benötige verlässliche Partner, sagte Kadri Simson, EU-Kommissarin für Energie in einer Video-Botschaft. Wichtige Maßnahmen auf dem Weg dorthin seien beispielsweise die von der EU begonnene Strukturreform, des europäischen Strommarktes, die Unterstützung der Kohleregionen und der European Green Deal.
Nach Ansicht von Tschechiens stellvertretenden Ministerpräsidenten Marian Jurečka hätten die vergangenen Jahre offengelegt, dass Europa bei vielen wichtigen Produkten, wie etwa Arznei oder IT-Technik, von China abhängig sei. Dabei sei die Volksrepublik längst kein verlässlicher Partner mehr. Auch beim Thema Fachkräfte sei Europa inzwischen sehr verletzlich geworden.
Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, wie es in den Industrieländern Mitteleuropas energiepolitisch weitergehen kann, auch und besonders, wenn die Energieversorgung als wichtiger Aspekt der Sicherheitspolitik gesehen wird. In der Diskussionsrunde, an der unter anderem Sachsens ehemaliger Ministerpräsident Stanislaw Tillich teilnahm, wurde deutlich, dass Energie ein Schlüsselsektor für die wirtschaftliche Zukunft fast jedes Landes ist. Die Herausforderung bestehe darin, den Übergang zu einer CO2-neutralen Energiegewinnung zu schaffen, wobei die kommenden zehn bis fünfzehn Jahre entscheidend seien. Sowohl die Kernenergie als auch das Gas würden als Brückentechnologie weiterhin wichtig sein, um den Wandel des Energiemarktes zu gestalten, so die Leiterin der staatlichen Atomaufsicht, Dana Drábová.
Am Nachmittag befasste sich die Konferenz mit der gesellschaftlichen Situation in Mitteleuropa. Den Impulsvortrag für die Diskussionsrunde lieferte der ungarische Europaabgeordnete Dr. Ernő Schaller-Baross. Er diagnostizierte eine weitgehende Verunsicherung aufgrund andauernder Strukturdebatten in der EU. Anstelle immer mehr Kompetenzen auf die europäische Ebene zu verlagern, sollte die Stärke nationaler Parlamente erhalten bleiben.
Pavel Fischer, Mitglied des tschechischen Senats, betonte die kulturelle Verbundenheit innerhalb Mitteleuropas. Er beschrieb das Bild eines Hauses, das zwar aus ganz unterschiedlichen Sprachen bestehe, aber das verbindende Geschenk der Musik besitze. Diese bringe schon seit Jahrhunderten Menschen zusammen. Eine Gefahr sah Fischer in der wachsenden Ungleichheit von städtischen Zentren und dem ländlichen Raum. Hier müsse der Dialog gestärkt werden.
Die anschließende Diskussion, die auch den Schlussteil der Konferenz einläutete, ging vertiefend auf die gesellschaftlichen Herausforderungen ein. So wurde unter anderem hervorgehoben, dass in allen europäischen Staaten eine Mehrheit den Freiheitskampf der Ukraine unterstütze. Klar sei jedoch auch, dass es gerade in dieser Frage teilweise sehr konträre Positionen gäbe. Die Konflikte verliefen vor allem entlang wirtschaftlicher und kultureller Linien, so der Direktor des STEM Instituts Prag, Dr. Martin Buchtík.
Heft 12 der Schriftenreihe FORUM dokumentiert die Konferenz "Stabilität von Wirtschaft und Gesellschaft in Mitteleuropa" am 23. Mai 2023 in Prag. Das Heft ist in deutscher und tschechischer Sprache erhältlich. Es kann unter publikation@slt.sachsen.de als Druckversion bestellt werden.
The 2023 Prague conference "Economic and Social Stability in Central Europe" turned the spotlight more directly on the potential consequences of Europe's epochal turning point, the Zeitenwende, with regard to the economy and society in Central Europe. The aim was on the one hand to continue the discussion begun in Vilnius and, on the other to draw thematic links with the focus of the Czech Presidency of the EU (including the war in Ukraine, sanctions and the energy crisis). Alongside the numerous challenges already having an impact on the European Union both internally and externally (e.g. the rule of law, migration and asylum policy, climate policy), 2022 brought additional existential challenges in the key areas of energy and security policy. The geopolitical situation puts the onus on the European Union and the individual EU member states to come up with meaningful responses to existential questions in the 21st century's third decade.
The conference started in the morning by taking a look at current economic and energy policy. Discussion focused on the way ahead for energy policy in the industrialised countries of Central Europe, in particular in a time when energy supply is such a key aspect of security policy. What are the current challenges in the regions' energy sectors? What changes need to be made in the light of the current tension? Which technologies and what kind of joint working will ensure a stable energy supply (energy security) for Central Europe in the future, building the foundations for competitive economies and good terms of trade? And bearing in mind the vital need to safeguard solidarity between the Central European states (energy solidarity) while at the same time promoting large-scale industrial cross-linkages among them, what might an effective energy policy in Central Europe look like?
The afternoon focused on current developments in civil society in Central Europe. How do views in the countries of Central Europe differ with regard to the war in Ukraine and how to deal with its consequences (e.g. refugees)? What impact is the European Zeitenwende having on the citizens of Central Europe? What is the effect, for instance, of increased energy and food prices on the stability of societies and democracies? Freedom, democracy and prosperity were central demands of the 1989/1990 revolution. What view do the societies of Central Europe take of these goals today? What do people now expect of the state and political figures? Which concepts of society are currently dominating the discourse in Central Europe? What impact is Central European societies' historically different understanding of Eastern Europe and Russia having on their political attitudes in 2023?