Zusammen mit Milan Štěch eröffnete der Präsident des Sächsischen Landtags, Dr. Matthias Rößler, die Tagung und fasste kurz das Wesen des Forums zusammen: „Es will eine Plattform sein für den regelmäßigen gedanklichen und thematischen Austausch zwischen den beteiligten Ländern!“ Dabei sollten die an der Freiheit orientierten Errungenschaften der mitteleuropäischen Bürgergesellschaft besonders gewürdigt werden. Um dies zu erreichen, würden aus spezifisch mitteleuropäischer Sicht Themenfelder entwickelt, für die in den Regionen und bei Entscheidungsträgern geworben werde.
Nun wolle man mit dem Thema „Heimat Mitteleuropa: Gesichter, Biographien, Identitäten“ eines dieser Themenfelder beleuchten. Gerade in Prag – der ehemaligen Welthauptstadt der Politik – komme diesem Begriff ein besonderer Klärungsbedarf zu. Und vor diesem Hintergrund sei der Weg nach Prag ein wichtiger und großer Schritt für das Forum gewesen. Er, so Rößler weiter, habe allen Grund, sich bei seinem Kollegen für dessen großes und umfassendes Engagement zu bedanken.
Tschechiens Außenminister, Karel Schwarzenberg, stellte klar: „Wir sind Mitteleuropa!“ Geographisch sei das relativ einfach festzulegen, doch gehe diese Sichtweise am Kern vorbei. Schwarzenberg erinnerte an Madeleine Albright, geb. Korbelová, die als erste Frau das US-Außenministerium anführte, ihre tschechischen Wurzeln aber nie verleugnete. Es habe allen im „alten Kontinent“ gut getan, eine „europäische US-Amerikanerin“ als „Secretary of State“ zu haben. „Geographische Heimat“ sei also viel zu eng gefasst, weil es nur eine Facette darstellte. „Identität“ sei für ihn ein Wert, weil er für eine Entscheidung stünde: „Hier in Böhmen gibt es viele Menschen, die ihre Zugehörigkeit und Identität geändert haben – manchmal bleiben sie ,ihrer' Heimat immer verbunden, manchmal finden sie eine neue.“ Was immer ein jeder in seiner Identität verorte – Sprache, Geographie, geistige Ausrichtung, persönliches Glück – immer und überall sollte das eigene Ich erklärt und verteidigt werden: „Wir müssen unsere Werte hochhalten, egal, wo wir gerade sind!“
Es werde künftig immer deutlichere „Identifikationsveränderungen“ geben, das bringe die globale Veränderung, in Europa die EU, mit sich. Umso bedeutsamer sei es, sich selbst in einer Identität wiederfinden zu können und auch mal gegen den Strom zu schwimmen: „Leute verärgern, ist auch eine Identität!“ Schwarzenberg forderte am Ende eine allgemeine Mäßigung ein. Wer zu sehr und zu vehement auf seine Identität als die allein richtig poche und keine Gespräche und Diskussionen zuließe, der schüre Angst, Angst, sich zu seiner Identität bekennen zu können. Werte würden so zerstört und führten – vielleicht auch – zu bewaffneten Auseinandersetzungen: „Seien wir also vorsichtig, seien wir bescheiden. Kriege haben noch nie etwas Besseres bewirkt!“
„Migration ist Genuss!“ Miloš Řezník, Professor für europäische Regionalgeschichte an der TU Chemnitz, entwarf ein Bild von Mitteleuropa als einer prosperierenden aber „stark diversifizierten“ Region „mit der westeuropäischen Einheit an der Peripherie. Das Eintauchen in die unterschiedlichen „Welten“ von West-, Ost- und Mitteleuropa als etwas Lebendiges, Umtriebiges, ja Kreatives zu definieren, erschien vielen Zuhörern als eine neue Sichtweise, verwischte er doch eher den Begriff von Heimat, weg von einer retrospektiven, hin zu einer die Gesellschaft erneuernden Kategorie. Der Wissenschaftler Řezník resümierte: „Wir erkennen die mitteleuropäischen Grenzgänger als ein postmodernes Phänomen.“
Der Präsident der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, Ulf Großmann, bezeichnete „Heimat“ als einen „zeitgemäßen Begriff“, als eine Stätte der Erinnerung, der Kreativität und des Zusammenhalts. Es bestehe kein Zweifel: „Heimat" sei ein äußerst individueller und deshalb hoch zu schätzender bleibender Wert. Er beschreibe ein Projekt: „Heimat ist der Raum, den wir aktiv gestalten und letztlich auch verändern!“
Der ungarische Schriftsteller László Márton erinnerte an Sandor Marai (gest. 1989), der aus politischen Gründen aus Ungarn ins Exil gegangen war und für den „Heimat“ ursächlich mit der Sprache, der Muttersprache verbunden war. Dieses „Schicksalsproblem“, so Márton, sei immer zu spüren. Die eigene Identität stehe in Abhängigkeit mit der Anpassung an andere Werte. Hier werde die Sprache zur Heimat. Die Worte Marais hätten nach wie vor Bestand: „Wenn wir uns von der Muttersprache lösen, zerschneiden wir die Nabelschnur, die uns mit der lebensspendenden Muttersprache verbindet und die unser Selbstbewusstsein, unsere schriftstellerischen Fähigkeiten speist.“
In der anschließenden Podiumsdiskussion verglich der ehemalige tschechische Premier Vladimír Špidla Europa mit einem Teppich, der dort zusammengenäht werden müsse, wo es Berührungspunkte gäbe. Der frühere tschechische Kultusminister Jan Sokól nahm den Gedanken auf und konkretisierte: „Meine Identität ist eine Identität, die sich aus vielen unterschiedlichen Identitäten zusammensetzt.“ Eine Identität, zusammengenäht durch zielbewusste Tätigkeiten.
Am Ende stand ein Satz Milan Štěchs wie ein Wegweiser: „Es dauert manchmal eine Weile, bis man über Dinge nachdenkt, die einem auf den ersten Blick nicht so wichtig zu sein scheinen!“
Die Konferenz "Heimat Mitteleuropa: Gesicher, Biografien, Identitäten", die am 28. Juni 2013 im Waldsteinpalais in Prag stattfand, ist in Heft 4 der FORUM-Reihe dokumentiert worden. Das Heft ist in deutscher und tschechischer Sprache erhältlich. Es kann unter publikation@slt.sachsen.de auch als Druckversion bestellt werden.